Frau Romy Wollny aus Leipzig hat 1977/78 als junges Mädchen mit ihren Eltern in einem FDGB Ferienheim in Bad Saarow Urlaub gemacht und von dort aus Ausflüge unternommen. Ein Ausflug führte in die Moorstraße zur „Moorhexe“. Dieser Ausflug blieb seitdem in ihrer in Erinnerung.
Die Ankündigung der Eltern zu diesem Ausflug zur Moorhexe weckte zunächst keine besonders guten Gefühle, wie sie schrieb, denn „ich kannte doch „Hexen“ nur aus Filmen und Märchen, die ich verschlang. Ich war also sehr gespannt, was mich erwarten würde und versuchte meine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.
Wir hatten Essen mitgenommen, von dem ich nicht wusste, wofür wir das brauchen sollten, schließlich gab es 3 Mahlzeiten im Ferienheim.
Als wir am Grundstück angekommen waren, gingen wir auf das Grundstück. An den Eingang kann ich mich nicht erinnern. Aber an meine Verwirrung.
Als Stadtkind, wo alles bürgerlich geordnet und akkurat zu sein hatte, empfand ich Befreiung, als ich den Garten betrat, der eigentlich kein Garten nach meinen Vorstellungen war.
Er war leicht abschüssig und rechter Hand befand sich ein Haus, das ich so nicht kannte. In meiner Erinnerung bestand es aus Holz und war vergraut. Heute würde ich sagen, es bräuchte dringend einen Anstrich.
Das für mich große Fenster über dem Eingang gefiel mir und passte zur Umgebung des Hauses. Ungewöhnlich. Verwildert, keine Ordnung oder Struktur. Hier zu viel Unkraut, dort ein paar Blümchen und unterhalb war alles verwildert, aber es schien einen Weg unten durch das Gestrüpp zu geben, der nicht so oft benutzt wurde.
Meine Ängstlichkeit verflog, denn hier fühlte ich mich sofort wohl, was sicher ein wichtiger Punkt für meine gebliebenen Erinnerungen ist.
Ich erwartete eine hässliche bucklige Frau, wie die Babajaga und war fasziniert von dem, was ich traf.
Da hüpfte eine, für mich damals vielleicht 1.65 cm große Frau, mit den Armen wedelnd und tanzend vor uns rum und tat gar nicht so, als müsse sie sich benehmen. Völlig losgelöst von dem, was man bürgerlich verlangte und leicht wackelig auf den Beinen.
Faszinierend, das war voll mein Ding und ich war super aufgeschlossen, was diese hagere alte Dame, die vom Verhalten eher einem Kind glich, noch gucken ließ.
Ihr Gesicht beeindruckte mich damals genauso, wie ihr lockeres unangepasstes Verhalten.
Sie war sehr schmal, auch vom Körperbau. Dünn eher und hager. Ihre Haut schien zwar braun, hatte aber die gleiche Wirkung wie das Haus auf mich. Ihre Haare waren genauso lang wie das Unkraut hoch war und hatte jegliche Farbe verloren.
Sie hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre Augen waren normal groß, aber sie hatten ein Feuer und eine Freude in sich, die mich bis heute tief beeindrucken. Es war diese Form von Trotzigkeit, „Ich mach was ich will!“, ich bin ich und so wie ich bin ist es gut.
Und das in einer Zeit, die Anpassung vorschrieb und Systemtreue verlangte, da sprang eine Frau vor mir rum, die ich bewunderte für ihre Natürlichkeit, den Mut so zu sein, wie sie wollte, ohne auf die Meinung anderer zu achten. Und das war für mein pubertierendes nicht in der grauen Masse verschwinden wollendes Herz genau das, was ich brauchte und wollte und darum blieb es mir bis heute in tiefenwirksamer Erinnerung.
Ich war schon immer für alles offen, was anders und verrückt war.
Mit einer großen Freundlichkeit und Zappeligkeit ihrerseits setzten wir uns in der Mitte des Gartens auf eine Mauer oder kleine Hocker oder Baumstümpfe für die Erwachsenen, das weiß ich nicht mehr genau. Jedenfalls gab es keinen Tisch. Und mittendrin saß sie, die „Moorhexe“, die ich so überhaupt nicht als Hexe empfand. Die ich einfach mochte.
Als Kind dachte ich, dass sie etwas Verbotenes machte, weil meine Eltern so ein Geheimnis darüber gemacht hatten und ich den Besuch niemanden erzählen durfte.
Als sie anfing die Hände jedes einzelnen zu nehmen, lauschte ich gespannt. Meiner Mutter sagte sie eine Schilddrüsenerkrankung vorher und dass sie viel Möhren essen sollte,……, was sie meinem Vater sagte, weiß ich nicht mehr,….. meiner Cousine sagte sie die Scheidung voraus und mir ein schweres Beziehungsleben und ich erinnere mich daran, wie sie mich bedauernd ansah. Nun war ich vorgewarnt.
Irgendwann bot sie uns etwas selbstgemachte Limonade an. Ich sollte in das Haus gehen und diese holen.
Neugierig ging ich hoch zum Haus und war verwirrt und erstaunt. Eine für mich so edle Frau von der Sprache und Gemüt, musste doch super reich und herrlich eingerichtet sein.
Ich betrat das Haus und als 1,40 großes Kind hatte ich das Gefühl in eine Art Halle zu kommen.
Es war kühl und dunkel und roch nach Kräutern. An den Wänden? An den Wänden war nichts. Keine Bilder, wenig Regale – was darauf stand, weiß ich nicht, da ich so perplex war, dass da nicht viel war. Links standen drei Holzstühle und ein rechteckiger Tisch auf dem ein Glaskrug mit gelber Flüssigkeit stand.
Das Haus war so spartanisch für mich und groß und soooo leer, dass ich die Welt nicht verstand. Keine Ansammlung materieller Güter, keine Statussymbole. Nichts. Einfach nichts. Außer die Katzen, die raus und reinrannten.
Alles hatte die Farbe des Hauses – grau – wie ihr Kleid.
Weiterhinten war eine Art Bank mit Kissen und – keine Ahnung.
An die rechte Seite kann ich mich nicht erinnern, denn ich schnappte mir den Krug und machte, dass ich raus in die Sonne kam.
Irgendwie komisch, ich verstand die Welt nicht mehr.
Als wir unsere Limonade getrunken hatten, die mir nicht schmeckte, weil sie nicht süß war, gingen wir wieder.
Mein Vater übergab das Essen und Geldscheine, wieviel weiß ich nicht. Sie bedankte sich freundlich und wir gingen, was ich traurig fand, obwohl ich zwischen Neugier und Irritation hin und her schwebte.
Ich weiß, dass ich noch einmal hingehen wollte, aber das haben wir nicht. Auch haben wir nie wieder über diesen Besuch gesprochen oder ein Wort darüber geredet.
Und doch habe ich diesen Besuch nie vergessen, weil diese Frau mich so tief beeindruckt hatte.“